Wenn schon Visionen, dann darf auch geträumt werden. Denn noch schlummert das Areal von AV1/2 in Hüls im Tiefschlaf. Aber die jetzt vorgestellten Ideen für die Brache sind so spannend, dass sie Investoren und Fördergeber inspirieren könnten.
Ein Stoppelfeld, Bauzäune, Backsteinbauten, die an Industrie erinnern, aber von Kultur weit entfernt sind: Es braucht viel Fantasie um sich vorzustellen, dass auf der Zechenbrache von Auguste Victoria 1/2 ein lebendiges, gemischt genutztes Quartier mit industriekulturellem Charme entstehen könnte. Diese Fantasie haben die Planer bewiesen: Gleich drei Büros haben im Auftrag der Stadt Marl eine aus Bundesmitteln geförderte Potenzialstudie erstellt. Das Untersuchungsgebiet umfasst 20,5 Hektar und schließt neben der Zechenbrache auch das dahinterliegende Wohngebiet mit ein. Aktuell ist das Areal völlig unstrukturiert, belegt mit Gebäuden aus verschiedenen Epochen, von historischen Kohleförderungsbauten bis zu jüngeren Gewerbe- und Wohngebäuden unterschiedlicher Höhen. Große Flächen sind versiegelt und werden als Lager- und Stellplätze genutzt. Kurz: Eine Herausforderung für Planer und eine Chance, mit dem ungenutzten Flächenpotenzial die Stadtentwicklung in Hüls zu stärken. Für den Rahmenplan haben die Büros das Gebiet neu geordnet und strukturiert. Leitidee ist ein Quartiersplatz, der dem Areal eine neue Mitte und klare Identität gibt: Rund um und unter den beiden denkmalgeschützten Förderturm wird das Regenwasser in einem markanten rechteckigen Retentionsbecken gesammelt: Der „Victoriasee“, dessen Form und Ufer so gestaltet werden, dass auf die sonst übliche Einzäunung verzichtet wird und die temporäre Wasserfläche als Teil der Platzes erlebbar wird.
Autofreier Quartiersplatz
Ein Hotelneubau und Restaurant im Norden sowie die sanierten Backstein-Gebäude und die Eventhalle fassen das neue Zentrum ein – und schaffen so eine reizvolle Kulisse für den komplett autofreien Quartiersplatz, der Raum für Außengastronomie und Veranstaltungen bietet, aber auch zum Flanieren zwischen Industriekultur, Wasser und neuem Grün. Rund um den Platz am Victoriasee entsteht ein urbanes Mischquartier: „Nutzungen aus den Bereichen Wohnen, Kultur und Sport sowie Gastronomie und Hotellerie sollen hier vereint und vernetzt werden“, verdeutlicht Bau- dezernentin Andrea Baudek. Dazugehören auch wenige Büro- und Dienstleistungsangebote sowie wohnverträgliches Gewerbe.
Klimabewusst planen
Zweiter Aspekt des Leitmotivs „Blaues Quartier am Victoriasee“ ist blau-grüne Infrastruktur, die das Leben im Quartier auch in Zeiten des zu erwartenden Klimawandels angenehm machen soll. Mulden und Rigolen, Retentionsflächen sowie die Nutzung und sichtbar fließendes Regenwasser folgen dem Prinzip der Schwammstadt. So kann der sensible Umgang mit Wasser einen Ausgleich zu der stark verdichteten, versiegelten Fußgängerzone in Hüls schaffen und das Mikroklima im Stadtteil verbessern. „Die Potenzialstudie betrachtet die Entwicklung des AV 1/2-Areals in enger Verbindung mit der Ortsmitte Hüls, um den Stadtteil insgesamt zu stärken und aufzuwerten“, betont Baudezernentin Andrea Baudek. „Das neue Quartier soll eine Ergänzung und keine Konkurrenz zur Ortsmitte darstellen und durch die historische Bausubstanz als neuer Identifikationsort dienen.“ Parkraum für Autos soll vorwiegend durch Tiefgaragen und zentrale Mobilitätshubs geschaffen werden. So bleibt Platz für großzügige öffentliche Grünflächen. An der nördlichen Grenze könnte ein Retentionsstreifen Regenwasser sammeln und für Kühlung sorgen.
Orientierung für Investoren
Motiviert wurde der Rahmenplan von der Notwendigkeit, den überwiegend privaten Flächen- und Immobilieneigentümern Orientierung zu geben, um eine zielgerichtete Entwicklung des Quartiers zu sichern. Die Vorlage geht jetzt in die weitere politische Abstimmung – und wer weiß: Vielleicht wird die faszinierende Vision schneller Wirklichkeit als manch anderes Projekt.