Familienalltag hat sich gewandelt: Kinder verbringen früher und mehr Zeit in Kita und OGS. Ein Gespräch mit der Erziehungswissenschaftlerin Cara Stojetzki sowie den Psychologen Nilgün Cavlak und Marco Timmerhinrich von der psychologischen Beratungsstelle Marl.
Ist der Betreuungsbedarf heutzutage höher?
Marco Timmerhinrich: Ja. Früher waren die Kinder bis drei zuhause, heute geht es meist mit einem Jahr in eine Betreuung. Es findet quasi eine Abgabe des Erziehungsauftrags statt. Und das bei dem überwiegenden Teil der Familien.
Ist der Familienalltag stressiger?
Nilgün Cavlak: Er ist durch Arbeit und Zeitdruck geprägt. Gerade Mütter haben oft ein schlechtes Gewissen und geraten dadurch noch mehr unter Stress.
Cara Stojetzki: Die Kitas und OGSPlätze nehmen andererseits auch Belastung von den Eltern, wenn sie ihre Kinder gut betreut wissen.
Timmerhinrich: Die Familiensituation ist heute viel komplexer. Beruf, Zeitdruck, soziale Herausforderungen durch Medien – oft fehlt Zeit für Rituale, alles musss meist schnell gehen.
Welche Vorteile hat eine frühe bzw. eine Ganztagsbetreuung?
Cavlak: Kinder erlernen früh Struktur und soziale Regeln. Motorische Fähigkeiten werden z. B. durch Basteln gefördert. Bei Kindern mit Migrationshintergrund wird die Sprache schneller erlernt. Und es gibt gesichert feste Mahlzeiten, dafür bleibt manchmal zuhause keine Zeit.
Stojetzki: Bei Problemen oder Auffälligkeiten ist der geschulte Blick der Profis wichtig. Sie können mit Eltern und Kindern Hilfen besprechen. Durch die Doppelbelastung fehlt Eltern auch oft die Kraft, generell Konsequenzen bei den Kindern durchzusetzen, die Frustrationstoleranz wird häufig in der Einrichtung geprobt und erlernt.
Timmerhinrich: Eine frühe außerfamiläre Betreuung kann die Sozialisation weiter fördern. Das hilft den Kindern oft, sich später in der Schule zurechtzufinden. Lösungsstrategien werden erlernt. Selbst, wenn nicht beide Elternteile in Vollzeit arbeiten, kann eine frühe Betreuung oder höhere Stundenanzahl durchaus sinnvoll sein.
Was ist heute generell anders?
Cavlak: Die Medien haben einen gewaltigen Einfluss auf Kinder und auch Erwachsene. Ob TV, Spielkonsole oder Internet. Soziale Kontakte können damit ersetzt werden. Fremde Kulturen mischen sich immer mehr. Das kann schwierig sein, es erfordert gegenseitige Toleranz.
Timmerhinrich: Die Identitätsfindung für Kinder und Jugendlichen ist heute schwieriger. Es gibt so viele Einflüsse. Auch das ist Stress für sie und das bedeutet dann Stress für die Eltern.